Die Familie Birling feiert die Verlobung der Tochter Sheila mit dem Adeligen Gerald Croft. Gerade als der Abend in den informellen Teil abzugleiten beginnt, taucht plötzlich ein Mann auf, der sich als Polizeiinspektor ausgibt. Er eröffnet den Anwesenden, ein Mädchen habe soeben Selbstmord begangen. Der Inspektor, der alles über die Versammelten zu wissen scheint, verhört jeden einzeln und weist ihnen eine Schuld am Tod des Mädchens nach. Es scheint für die Betroffenen keine Ausflucht vor den Fragen des Inspektors und ihrer Verantwortung im Hinblick auf das unglückliche Lebensende der jungen Frau zu geben.
… fanden von 19.–22. Februar 1999 in der Glückstraße 3 statt. Es wirkten mit:
Sybil Birling | Ulrike Drechsler |
Arthur Birling | Klaus-Dieter Schuh |
Sheila Birling | Franziska Schleinzer |
Eric Birling | Christian Kallenbach |
Gerald Croft | Hannes Egger |
Lester | Michael Laubinger |
Inspektor Goole | Fabian Guillery |
Maske | Claudia Althammer |
Souffleuse | Nicole Simon |
Technik | Florian Stadler |
Regie | Andrea Lachnitt |
Am 19. Februar 1999 kündigten die Erlanger Nachrichten an:
Nach den Uraufführungen 1946 in London und Moskau wurde John Boynton Priestleys „Ein Inspektor kommt“ ein Welterfolg. Nun hat sich die AMV (Akademisch-Musikalische Verbindung) Fridericiana dieses Theaterstücks angenommen und stellt am heutigen Freitag um 20 Uhr in ihrem Haus Glückstraße 3 erstmals ihre fertige Inszenierung vor. Drei weitere Vorstellungen gibt es vom 20. bis 22. Februar, jeweils zur gleichen Uhrzeit.
Priestley läßt die Handlung im Jahr 1912 in der nordenglischen Stadt Brumley spielen, wo ein Inspektor in eine Verlobungsfeier platzt und wegen eines Selbstmords ermittelt. Am Ende des Stückes hält Moralist Priestley auch eine Botschaft bereit: „Alle Menschen sind füreinander verantwortlich.“
Unser Bild zeigt die Theatergruppe der Fridericiana (Tel. 22514) bei der Generalprobe am Mittwoch.
Und so urteilten die Erlanger Nachrichten am 23. Februar 1999:
John Boynton Priestley gehörte zu der Sorte wundervoller Kultur-Menschen, die das Theater als moralische Anstalt begreifen; mit dieser feingeistigen Projektion befindet er sich in zahlreicher, gar in bester Gesellschaft. Als sozialkritisch engagierter Bühnenautor läßt ein solcher Mensch dann schon mal eine Figur Plakatives wie „Jeder ist für den anderen verantwortlich“ raunen, ein Schuft, wer dem widersprechen wollte.
„Ein Inspektor kommt“ heißt das hoffnungslos veraltete Stück, in dem dieser Satz fällt und das die Demaskierung einer angesehenen Honoratioren-Familie zum Thema hat. Eine junge Frau hat – vermeintlich – Selbstmord begangen, der ermittelnde Inspektor, der gar keiner ist, verwickelt mittels eines perfiden Katz-und-Maus-Spiels die Familienmitglieder in ein hemmungsloses Outen, in dessen Verlauf sich herausstellt, daß alle moralisch gefehlt haben.
Die Theatergruppe der AMV Fridericiana hat sich Priestleys 1946 (der Autor ging für den Plot selbst noch mal um 30 Jahre ins Jahr 1912 zurück, um die Story halbwegs zu erden) uraufgeführtes Konversationsstück für ihre Semesterabschluß-Theaterabende im Verbindungshaus in der Glückstraße ausgesucht, schlau und wohl wissend, daß man aus gepflegten Dialog-Scharmützeln nicht unmunteres Schauspieler-Theater machen kann, auch wenn selbst die prächtig aufspielenden Akteure nicht immer verhindern können, daß Mister Priestleys aufdringliche Moraltunke des öfteren über den Bühnenrand schwappt.
Unter der flüssigen Regie Andrea Lachnitts hauen sich die Schauspieler Erschrecken und Betroffenheit beeindruckend um die Ohren (nicht ironisch gemeint): Klaus-Dieter Schuh ist ein smart-selbstgefälliger Fabrikbesitzer bis in die Schuhsohlen, Ulrike Drechsler als Mutter die Selbstgerechtigkeit in Person, Christian Kallenbach der bemitleidenswert-nervöse Trinker-Sohn. Hannes Egger gibt den Schwiegersohn als alerten Pragmatiker, Fabian Guillery stattet den Inspektor mit kühl-akademischer Erbarmungslosigkeit aus. Und „Tochter“ Franziska Schleinzer spielt leise wie laute Affekte mit punktgenauer Präzision – die menschlichen Mini-Dramen bringen die Spannung in diesem gutmeinend-drögen Moralstück.
Der Mensch ist schlecht, meinte wohl J. B. Priestley. Noch schlechter ist, wenn man wohlfeile Sentenzen immer wieder als neue Erkenntnisse verkaufen will.
Manfred Koch