„Biographie: Ein Spiel“ – Theater

„Biographie: Ein Spiel“

Szenenfoto

Der Ort der Handlung ist, wie schon in früheren Stücken Frischs, die Bühne selbst. Der Wechsel zwischen Arbeits- und Spiellicht schafft keinen zusätzlichen Illusions-Raum, er besiegelt vielmehr die Konzentration auf das Spiel als Spiel. Man könnte von einer für Frisch spezifischen Form des epischen Theaters sprechen. Die Bühne, als solche im Bewußtsein gehalten, ist der freie Imaginationsraum, der ausdrückliche Spielraum einer gleichsam episch in Variationen sich ergehenden Einbildungskraft. Die Grundthematik wirkt vertraut, und vertraut gerade für die Leser von Frischs Romanen. Wie im Gantenbein-Roman der Erzähler von sich sagen kann, er probiere sich Geschichte an wie Kleider, spielen Kürmann und Antoinette mögliche andere Wendungen ihrer Lebensgeschichte durch. Wie frei dieses Spiel mit den eigenen, biographisch nicht realisierten Möglichkeiten in Wirklichkeit ist, bleibt allerdings eine offene Frage. Es gibt bei Frisch durchaus eine verborgene Form von Fatalismus, der die Tendenz hat, alle imaginären Variationen des tatsächlich Geschehenen, alle Ausflüge ins Reich der ungenutzten Möglichkeiten auf sich selbst zurückzuwerfen. …

Biographie: Ein Spiel ist geradezu ein Paradigma für die Schwierigkeit, von der einmal gelebten Existenz in ihrer scheinbaren Zufälligkeit loszukommen - eben weil die Figuren des Stücks nichts anderes versuchen, als ihre Begegnung rückgängig zu machen. Die Bahnen des einmal gewählten Verhaltens habe ihre eigene Schwerkraft. Umso überraschender gelingt am Ende des Spiels die Variante, die die Partnerschaft von Antoinette und Kürmann ungeschehen macht und damit nun die vergangene Wirklichkeit in eine bloße, flüchtige und nichtgenutzte Möglichkeit auflöst.

(aus Beda Allemann: Die Struktur der Komödie bei Max Frisch, in: Max Frisch, hrsg. von Walter Schmitz, Frankfurt, 1987)

Die Aufführungen …

… fanden von Sonntag, dem 20. Februar 1994, bis Mittwoch, dem 23. Februar 1994, jeweils um 20 s.t. im Saal der AMV Fridericiana, Glückstraße 3, 91054 Erlangen, statt.

Hannes Kürmann Torsten Seeger
Antoinette Stein Carina Drews
Registrator Christian von Normann
Frau Hubalek Hanna Bauernfeind
Rotz, ein Zehnjähriger Emanuel Keller
Korporal Frank Farnschläder
Die Mutter Verena Schön
Ärztin Ute Kaufmann
Schwester Agnes Ina Haendle
Helen Karin Schreibeis
Der Vater AH Helmut Schmidt
Katrin, die Braut Maria Basler
Thomas, der Sohn Kore Linnerud
Flüchtlingsfrau Marga Hündgen
Flüchtlingsmann Matthes Egger
Flüchtlingskind Kirsten Hübener
Stoffente Herself
Professor Waria Krolevsky Anja Emmert
Ballettschülerin Verena Schön
Kellner Kore Linnerud
Verfassungsschutz Heiko Knoll
Henrik Witzig, Werbefachmann Matthes Egger
Henriks Frau Maria Basler
Egon Stahel Jan Ittner
Frau Stahel Anja Emmert
Schneider Kore Linnerud
Hornacher, der neue Rektor Matthes Egger
Rotzler, Handelsattaché Christoph Merklein
Marlis Marga Hündgen
Bühnenarbeiter Markus Krach,
Harald Laubinger
   
Regie Karin Schreibeis
Dramaturgie Miriam Schreibeis
Technik/Licht/Ton Carsten Bokholt,
Andreas Brostmeyer
Bühne Matthias Knoll,
Carsten Bokholt
Requisite Michaela Weisser,
Alexandra Bahr
Souffleuse Michaela Weisser
schges Klavier Jan Ittner
militärischer Berater Niels Rump
choreographische Beraterin Alexandra Freidl
Paperware Andreas Brostmeyer

Die Kritik …

… stand am 22. Februar 1994 im Kulturteil der Erlanger Nachrichten und lautete:

Kürmann bekommt noch einmal eine Chance

Theatergruppe der AMV Fridericiana hatte Premiere mit „Biographie“ von Frisch - Weitere Vorstellungen heute und morgen, Glückstraße 3

„Sie haben die Wahl, Sie können noch einmal anfangen - wüßten Sie, was Sie anders machen würden in Ihrem Leben?“

Prof. Hannes Kürmann, ehemals Direktor des Instituts für Verhaltensforschung in Zürich, bekommt die Chance seines Lebens. Er darf ein zweites Mal über sein Schicksal bestimmen. Natürlich nur auf der Bühne.

„Biographie: Ein Spiel“ heißt das Stück von Max Frisch, das er selbst als Komödie bezeichnet. Von der Akademisch-Musikalischen Verbindung Fridericiana wurde es auf die Bühne gebracht.

Der Wissenschaftler Hannes Kürmann könnte sein Leben noch einmal durchleben und dabei einiges verändern. Er darf die ungeliebten Momente mit Frau, Kind und Arbeitskollegen noch einmal Revue passieren lassen und dabei sein eigenes Verhalten korrigieren. So leicht, wie es scheint, ist das „Spiel“ jedoch nicht.

Verpfuschtes Leben

Torsten Seeger spielte den gescheiterten Wissenschaftler sehr ausdrucksstark. Immer wieder versuchte er, seine Frau Antoinette aus seinem Leben zu streichen. Carina Drews war in der Rolle der untreuen Gattin betont unterkühlt. Eine Karrieristin, die weiß, was sie will.

Der Regisseurin Karin Schreibeis gelang es phasenweise sehr gut, das verpfuschte Leben des Protagonisten atmosphärisch darzustellen. Blitzlichtartig zogen alle Ereignisse seines Lebens an ihm vorbei. Eine frühere Geliebte, seine Mutter, der Sohn. Allerdings sorgten die Ballettschülerin, ein Sarg und die weiße Braut für eine sehr naturalistische Umsetzung der Regieanweisungen des Autors.

Bedauerlich auch, daß den Akteuren immer wieder Versprecher unterliefen, welche die spielerische Illusion etwas zerstörten. Verständlich insofern, als besonders Christian von Normann (Registrator) eine immense Textfülle zu bewältigen hatte. Er war sozusagen der Mann im Hintergrund und leitete das Experiment „Biographie“. Gemeinsam mit Kürmann ging er Episode für Episode seines Lebens durch. Am Ende war Kürmann krank, die Identität war immer noch dieselbe.

Man hatte sich mehr erwartet von einem Mann, „der die Möglichkeit hat, noch einmal anzufangen: etwas Kühneres.“

j.t.