Es wurde Dreihundert Millionen von Roberto Arlt aus dem Jahre 1932 gegeben. Das Stück spielt irgendwo zwischen Phantasie und Wirklichkeit eines unterdrückten Dienstmädchens in einer Sternenzone, in der verschiedene Gestalten aufeinandertreffen und sich wieder verflüchtigen, aber doch die Realität massiv beeinflussen.
Roberto Arlt wurde in Buenos Aires als Kind europäischer Einwanderer geboren. Sein Vater stammte aus dem preußischen Posen, seine Mutter aus dem kulturvielfältigen Triest. Im Nordosten Argentiniens verdingte sich Karl Arlt mit geringem Erfolg als Saisonarbeiter auf Matefeldern. Die Unzufriedenheit mit der eigenen Arbeit und der damit verbundenen schwierigen finanziellen Lage scheint er durch stark autoritäres Verhalten und die absolute Tabuisierung von Gefühlen an seiner Frau und seinem Sohn ausgelassen zu haben. Catherine Arlt entzog sich ihrer realen Umgebung durch die Lektüre von Melodramen und Abenteuerromanen in Fortsetzungen, die auch ihrem Sohn Roberto nicht verschlossen blieben.
Mit sechzehn Jahren hielt Arlt die Spannung zwischen dem dominanten Vater und der sich in fiktive Welten flüchtenden Mutter nicht mehr aus und verließ sein Elternhaus. Er heiratete bald ein Mädchen aus reicher Familie und verlor dessen gesamte Mitgift bei Spekulationen.
Von da an verdiente er seinen Lebensunterhalt mit Schreiben. Er arbeitete als persönlicher Sekretär bei Ricardo Güiraldes, einem argentinischen Dichter, der den Ausdruck der eigenen Erfahrung über jedwede formale Frage erhob. In Buenos Aires wurde er als Berichterstatter für Zeitungen jahrelang mit den kleinen und großen Verbrechen der Metropole konfrontiert und schrieb zudem für seine Kolumne „Aguafuertas Porteñas“ im Morgenjournal El Mundo. Im Jahr 1926 erschien sein erster Roman „El Juguete Rabioso“, dem 1929 und 1931 seine bekanntesten Prosawerke „Los Siete Locos“ und „Los Lanzallamas“ folgten.
Als im Jahr 1930 in Buenos Aires das Teatro del Pueblo (Theater des Volkes) von Leonídas Barletta gegründet wurde, war der Autodidakt Arlt, der nie eine fundierte Ausbildung erhalten hatte, einer seiner ersten Autoren und verfaßte bis zu seinem Tod 1942 neun Theaterstücke und zahlreiche burlerías (Späße).
(Quelle: Programmheft)
Die Aufführungen fanden von Sonntag, dem 28. Juli, bis Mittwoch, dem 31. Juli 1996, jeweils um 20.00 Uhr in unserem Saal in der Glückstraße 3 statt.
Dienstmädchen | Nicole Schymiczek |
Hausherrin | Silke Weller |
Sohn der Hausherrin | Moritz Meier-Ewert |
Rocambole | Clemens Heydenreich |
Kubischer Mensch | Vassilij Jermolin |
Königin | Silke Weller |
Liebhaber | Stefan Mayer |
Dämon | Andrea Lachnitt |
Der Tod | Verena Schön |
Matrose | Vassilij Jermolin |
Kapitän | Moritz Meier-Ewert |
Azucena (erste Alte) | Christine Horn |
Griselda (zweite Alte) | Andrea Lachnitt |
Kindermädchen | Silke Weller |
Diener | Vassilij Jermolin |
Aschenputtel (Tochter) | Angie Matula |
Gevatter Vulkan | Moritz Meier-Ewert |
Lude Ehrenwert | Matthias Knoll |
Junger Liebhaber | Stefan Mayer |
Regie | Torsten Seeger |
Dramaturgie | Karin Schreibeis |
Requisite/Maske | Eva Besendörfer Michaela Bokholt |
Souffleuse | Claudia Dierken |
Technik, Bühne, Organisation etc. |
Andreas Brostmeyer Carsten Bokholt Heiko Knoll Markus Krach |
Am 31. Juli 1996 schrieben die Erlanger Nachrichten:
Irgendwo in einer Sternenwelt müssen sie doch sein und warten, die Traumgestalten, um die Geschichten zu spielen, die sich die Menschen vorstellen. Sobald jemand an sie denkt, müssen sie in ihre Rolle schlüpfen – ob sie wollen oder nicht. Da hilft dann kein Zetern, keine Diskussion mit ihrem träumenden Schöpfer und auch kein Hadern mit dem Autor. Denn den Phantasiegeburten in Roberto Arlts Stück ergeht es nicht besser als Schauspielern, die nicht aus ihrer Rolle ausbrechen dürfen.
Ein geschundenes Dienstmädchen träumt sich hinaus aus ihrem armseligen Leben, hinein in eine Welt der Helden und unbegrenzten Wünsche. „300 Millionen“, so der Titel des Stücks, sollen ihr dort das unbeschwerte Glück ermöglichen, das ihr im realen Alptraum verwehrt bleibt.
Das 1932 entstandene Werk des deutschstämmigen Argentiniers Roberto Arlt erweist sich als inspiriert vom sizilianischen Illusionszertrümmerer Luigi Pirandello. Das Verfremden der Theatersituation, ein Spiel mit dem Spiel – das ist nicht unbedingt neu, aber für einen launigen Theaterabend mag es genügen. Unter der Regie von Torsten Seeger hat es die Theatergruppe der „AMV Fridericiana“ auf die hauseigene Bühne gebracht.
Nicole Schymiczek spielt die vor sich hinträumende Dienstmagd, die mit schwelgenden Kleinmädchenaugen in ihr Phantasiereich eintaucht und darüber ihre Arbeit vergißt. Doch schon bald muß sie erkennen, daß dort auch nicht alles Glanz und Freude ist. Wo sie sich etwa einen richtigen Mann erhofft hat, kommt nur ein schlaffer Säusler daher (Stefan Mayer als herrlich überzogener Liebhaber für alle Altersklassen). Den bringt sie dafür in einer der besten Szenen ordentlich auf Trab.
Je mehr die Phantasie mit ihr durchgeht, desto weiter vermischen sich Schein und Sein. Letztlich bietet ihr die Traumwelt auch keinen Ausweg aus dem harten Leben, das sie immer wieder einholt. Hinter den komisch-leichten Momenten des Stücks lastet Desillusionierung, Melancholie und existenzielle Ernsthaftigkeit – eine wahre Fundgrube für Traumdeuter und Tiefenpsychologen.
Das Spiel der elf Laiendarsteller ist manchmal etwas hölzern und schleppend. Da hätte man sich mehr Tempo gewünscht und Typen wie den schmierig-lüsternen Zuhälter Matthias Knolls. Raffiniert ist allerdings das Bühnenbild: mit minimalistischem Aufwand, aber wirkungsvollen Effekten verwandelt sich die karge Bedienstetenkammer mal in einen komfortablen Luxusliner, mal in einen rußigen Kohlenkeller. Aus den beengten Möglichkeiten hat die Truppe da das Beste gemacht. (Eine weitere Aufführung noch heute, 20 Uhr, in der Glückstraße 3).
Michael Lessing