„Der Gott des Gemetzels“ – Theater

Plakat zum Theaterstück „Der Gott des Gemetzels“

Kinder sind nun einmal Kinder – so den­ken zwei grund­ver­schie­de­ne Ehe­paa­re, die ei­nen Streit ihrer Söh­ne auf zi­vi­li­sier­te Art aus der Welt räu­men möch­ten, ver­stri­cken sich aber bei Kaf­fee und Ku­chen in all­zu mensch­li­che Grund­satz­fra­gen – un­ter an­de­rem der Er­zie­hung ihrer Kin­der und der Ab­nei­gung ge­gen Hams­ter. Mit stän­dig wech­seln­den Fron­ten zei­gen die vier Per­so­nen ihr wah­res Ge­sicht, sei es die kunst­be­flis­se­ne und hoch­nä­si­ge Buch­au­to­rin oder der stän­dig ar­bei­ten­de und aal­glat­te Rechts­an­walt. Las­sen Sie sich scho­ckie­ren und be­geis­tern, wäh­rend Sie in ei­nem frem­den Wohn­zim­mer den Ent­glei­sun­gen des un­ge­trüb­ten mensch­li­chen Ver­hal­tens zu­se­hen.

Das AMVi-Theater spielt am 27., 29., 30. Ju­ni und 1. Ju­li 2014 den „Gott des Ge­met­zels“ von Yas­min Re­za. Die Ur­auf­füh­rung im Jahr 2006 wur­de mit dem Ti­tel „Bes­te deutsch­spra­chi­ge Auf­füh­rung“ prä­miert und eb­ne­te den Weg für den gro­ßen Er­folg des Stücks. Der­zeit wird es an et­wa 60 Büh­nen in Deutsch­land ge­spielt und ge­hört da­mit zu den er­folg­reichs­ten Stü­cken der letz­ten Jahr­zehn­te.

Mitwirkende

Annette Reiter Tanja Hackenberg
Andreas Reiter Dimiter Konowalow
Veronika Habermann Ulrike Drechsler
Michael Habermann Marten Wehrhahn
   
Technik Moritz Helgath
Assistenz Imke Fritz
Regie Gregor Breun

Das studentische Kulturmagazin Reflex schrieb am 28.06.2014 (Text- und Bildüber­nah­me mit freund­li­cher Ge­neh­mi­gung von Vera Pods­kalsky):

Szene aus dem Theaterstück „Der Gott des Gemetzels“

Gemetzel in der Glückstraße

Anstand als bloße Fassade, die nicht nur bröckelt, son­dern ein­stürzt – Yas­mina Rezas Der Gott des Gemet­zels scheint nicht aus­schließ­lich an die Pari­ser Bour­geoi­sie gebun­den. Und so ist es plau­si­bel, dass das AMVi-Theater bei sei­ner Pre­miere des Stücks ver­gan­ge­nen Frei­tag im Saal der AMV Fri­de­ri­ciana in der Glück­straße die Hand­lung an einen ande­ren Ort ver­legt: nach Erlangen.

„Nach einer laut­star­ken Aus­ein­an­der­set­zung am Erlan­ger Thea­ter­platz schlug der elf­jäh­rige Fer­di­nand Rei­ter, bewaff­net mit einem Stock, unse­rem Sohn Bruno Haber­mann ins Gesicht. Die Fol­gen des Schla­ges sind, neben einer geschwol­le­nen Lippe, zwei abge­bro­chene Schnei­de­zähne, beim rech­ten Schnei­de­zahn ein­her­ge­hend mit der Schä­di­gung des Nervs.“

Soweit die Stel­lung­nahme der Haber­manns, ver­le­sen durch Vero­nika Haber­mann (Ulrike Drechs­ler), die den Thea­ter­platz ganz im Gegen­satz zum Huge­not­ten­platz bis­her für einen „Ort der Sicher­heit“ hielt. Bei Kaf­fee und Kuchen tref­fen sich die bei­den Ehe­paare, um den Streit ihrer Söhne auf zivi­li­sierte Art und Weise bei­zu­le­gen. Schließ­lich ist man gebil­det, hat Ahnung in Fra­gen der Kin­der­er­zie­hung und weiß, dass ein sol­ches Ereig­nis aus­rei­chend the­ma­ti­siert wer­den muss.

Bereits bei der Stel­lung­nahme deu­ten sich aller­dings Unstim­mig­kei­ten an. Die Ver­wen­dung des Aus­drucks „bewaffnet“ hält Andreas Reit­er (Dimi­ter Kon­o­wa­low), der als Rechts­an­walt tätig ist, nun doch für etwas über­trie­ben. Ein gro­tes­ker Nach­mit­tag beginnt, durch schwer­fäl­li­gen Small­talk über den Cla­fou­tis ein­ge­lei­tet. Immer deut­li­cher tre­ten unter­schwel­lige Wahr­hei­ten her­vor, hef­tige Dis­kus­sio­nen deu­ten sich an, und nach­dem Annette Rei­ter (Tanja Hacken­berg) sich auf den wert­vol­len Kokoschka über­ge­ben muss, schlägt die Stim­mung um. Stän­dige Unter­bre­chun­gen durch das klin­gelnde Handy des Anwalts tun das Übrige.

Die um Manie­ren bemüh­ten Bil­dungs­bür­ger las­sen nach und nach ihre Mas­ken fal­len. „Anstand ist ein Unsinn, der einen nur schwächt und wehr­los macht“, ver­kün­det Andreas Rei­ter, und Michael Haber­mann (Mar­ten Wehr­hahn), der als letz­tes die Fas­sung ver­liert, erklärt, dass seine Frau ihn fälsch­li­cher­weise als Gut­men­schen dar­ge­stellt hat. Spä­tes­tens nach dem Wech­sel vom Espresso zum Rum gerät das Gesche­hen völ­lig außer Kon­trolle: Annette Rei­ter ver­senkt das Handy ihres Man­nes in der Blu­men­vase und lässt wenig spä­ter ihre Wut auf die Haber­manns am Rosen­strauß aus. Kon­flikt­po­ten­tial besteht also nicht nur zwi­schen den Ehe­paa­ren, son­dern auch unter den Ehe­part­nern. Immer wie­der wer­den die Fron­ten gewech­selt, visua­li­siert durch den Posi­ti­ons­wech­sel der Schau­spie­ler auf der Bühne.

Rezas Stück for­dert eine hohe schau­spie­le­ri­sche Leis­tung: Alle vier Akteure befin­den sich durch­gän­gig auf der Bühne und bewe­gen sich vor schlich­ter Wohn­zim­mer­ku­lisse. Dabei müs­sen unter­schwel­lige Stim­mun­gen trans­por­tiert und gleich­zei­tig umfang­rei­che Texte in hohem Tempo und mit viel Aggres­sion gespro­chen wer­den. Das AMVi-Theater wagt sich an ein ambi­tio­nier­tes Pro­jekt, und ab und an scheint durch, was den Schauspieler in die­sem Stück abver­langt wird. Ins­ge­samt gelingt es Regis­seur Gre­gor Breun, Assis­ten­tin Imke Fritz und ihrer Truppe aller­dings über­zeu­gend, die von Reza ent­wi­ckelte kar­ne­val­eske Situa­tion zu vermitteln.

Dabei wird vor allem gegen Ende eines deut­lich: Die Kri­tik am vor­der­grün­di­gen Wah­ren des Anstands bil­det nur den Ein­stieg in eine viel tie­fer­gehende The­ma­tik. Grund­le­gende Fra­gen zum Ver­hält­nis von Trieb und Moral wer­den ver­han­delt, wenn bei­spiels­weise Andreas Rei­ter ver­kün­det, dass er an den „Gott des Gemet­zels“ glaubt. Auf kei­nes der Pro­bleme fin­den die vier am Ende eine Ant­wort, aber auf eine gemein­same Frage kön­nen sie sich eini­gen: „Was weiß man schon?“

Vera Pods­kalsky