Das Stück von Edward Albee beruht auf der gleichnamigen Novelle von Carson McCullers. Hier ein Auszug aus dem zugrundeliegenden Stück (alles zitiert aus dem Programmheft):
„(…) Verwirrend ist nur, daß alle brauchbaren Dinge ihren Preis haben und nur mit Geld erworben werden können, denn so ist der Lauf der Welt. Ohne zu überlegen weiß man, wieviel ein Ballen Baumwolle oder ein Liter Sirup kostet. Doch das menschliche Leben hat keinen Geldwert; es wird uns umsonst gegeben, und es wird uns genommen, ohne daß wir dafür bezahlen. Wieviel ist es wert? Wenn man um sich blickt, könnte man meinen, daß es wenig oder gar nicht wert ist. Oft, wenn man sich im Schweiße seines Angesichts abgerackert und bemüht und seine eigene Lage doch nicht gebessert hat, regt sich in unserem innersten Herzen ein Gefühl, als wäre man selber auch nicht viel wert.
Doch der neue Stolz, der mit dem Café in diese Stadt gekommen war, berührte fast jeden, sogar die Kinder. Denn um im Café sitzen zu dürfen, brauchte man nicht eine ganze Mahlzeit zu bestellen oder den teuren Branntwein zu zahlen. Es gab kalte Getränke in Flaschen, die bloß fünf Cent kosteten. Und wenn man sich auch die nicht leisten konnte, so hatte Fräulein Amelia ein Getränk - es war rot und sehr süß - das sie Kirschsaft nannte und für einen Penny verkaufte … Wie Kinder gern anderswo schlafen als daheim, so essen sie auch gern mal an eines Nachbarn Tisch, und bei solchen Gelegenheiten benehmen sie sich gesittet und sind sehr stolz. So waren auch die Leute aus der Stadt stolz, wenn sie an einem Tisch im Café saßen. Sie wuschen sich, ehe sie zu Fräulein Amelia gingen, und putzten sich vor Betreten des Cafés anständig die Schuhe ab. Dort im Café konnten sie wenigstens für ein paar Stunden die tiefe, bittere Erkenntnis vergessen, daß der Mensch in dieser Welt nicht viel wert ist. (…)“
Albee hat jedem seiner Dramen eine Widmung vorausgeschickt. Bei der Ballade lag es nahe, daß er das Stück der Autorin Carson McCullers zueignete, deren Novelle Albee als Vorlage für seine Bühnenbearbeitung diente.
Die Handlung spielt in der Augusthitze des amerikanischen Südens, vor und im Haus von Fräulein Amelia Evans. Eine Erzählerin begleitet das Publikum durch das Stück, das keine Akteinteilung vorsieht. Seine Bauform gleicht einem Triptychon; die Geschichte von der Entstehung des Cafés am Anfang und das Zugrundegehen des Cafés am Ende rahmen im Mittelteil eine episodisch gegliederte Rückblende ein. Hier werden die Ereignisse geschildert, die Vorgeschichte, Hintergrund und Erklärungsgrundlage für die Geschehnisse um das Café bilden.
Obwohl man annehmen könnte, Albee sei durch die Verlagerung der Handlung in die Südstaaten seinem Thema untreu geworden, entpuppt sich die Ballade als eine noch drastischere Variation seiner grundlegenden Gesellschafts- und Zivilisationskritik. Mangelnde Fähigkeit zur Kommunikation verhindert eine über das pragmatische hinausgehende Begegnung mit dem anderen. Nur scheinbar und für kurze Zeit gelingt der Ausbruch aus dem Gefängnis des eigenen Ich; der Ausflug in die Welt der Offenheit und der Liebe entpuppt sich als Illusion, die die Rückkehr in die graue, um sich selbst kreisende Beziehungslosigkeit umso schmerzhafter macht.
Edward Franklin Albee wurde am 12. März 1928 in Washington geboren. Kurz nach seiner Geburt adoptierte ihn der wohlhabende Theaterunternehmer Reid A. Albee. Er besuchte die Grundschule und verschiedenen Internate, das etwas willkürlich gewählte Mathematikstudium brach er nach gut einem Jahr ab. Er ergriff alle möglichen Berufe und wechselte seine Stellungen ziemlich rasch: er war Texter für Rundfunksendungen, arbeitete in einem Werbebüro, als Schallplattenverkäufer, Buchhändler und Mitarbeiter einer Zeitungsredaktion.
Schon als Kind mit dem Theater in Berührung gekommen, hatte er schon in jugendlichen Jahren angefangen zu schreiben. Seinen Durchbruch als Dramatiker erlebte Albee mit seinem skurrilen Einakter Zoogeschichten der 1960 in New York Premiere hatte. Sein erstes abendfüllendes Stück Wer hat Angst vor Virginia Woolf? kreist um das Zentralthema Albees, die massive Kritik an einer steril und neurotisch gewordenen Gesellschaftsschicht, am bürgerlichen intellektuellen Mittelstand.
(Quelle: Programmheft)
… fanden am 26., 27. und 28. Juli 1993 jeweils um 20 s.t. auf dem Haus der AMV Fridericiana statt.
Fräulein Amelia | Carina Drews |
Vetter Lymon | Karin Schreibeis |
Marvin Macy | Kai S. Guenzel |
Henry Macy | Torsten Seeger |
Stumpy MacPhail | Matthes Egger |
Rainey 1 | Matthias Knoll |
Rainey 2 | Rainer Büsching |
Merlie Ryan | Christian Wetzel |
Emma Hale | Ina Haendle |
Frau Peterson | Hanna Bauernfeind |
Die Erzählerin | Ute Kaufmann |
Regie | Anja Emmert |
Souffleuse/Ausstattung | Alexandra Bahr |
Musik | Heiko Knoll |
Probeninspizienz | Miriam Schreibeis |
Bauten/Technik/Licht | Carsten Bokholt Andreas Brostmeyer |
Hier gibt es ein Gruppenbild der Theaterakteure im Sommersemester 1993.
Die Erlanger Nachrichten brachten am 29. Juli 1993 folgende Kritik:
Wie „die kleine Kneipe in unserer Straße“ ist das Café von Fräulein Amelia Treffpunkt der Menschen eines vergessenen Dorfes im südlichen Amerika (oder sonstwo auf der Welt); man sitzt gemütlich beieinander, läßt seine Probleme draußen vor der Tür und vergisst seine Einsamkeit.
Auch die spröde Amelia (Carina Drews) ist eher Gast in dieser scheinbaren Idylle. Sie haßt ihren Mann und kann nur dem Krüppel Lymon (Karin Schreibeis) Gefühle zeigen. Auf ihre Art liebt sie ihn, die niemand liebt. Marvin Macy, ihr Mann (Kai Günzel) sitzt derweil seine Zeit im Zuchthaus ab. Als er in sein Haus zurückkehrt, wendet Lymon sich bewundernd ihm zu (er möchte „zusammengehören“) und gibt so dem verhaßten Mann Gelegenheit, sich an ihr seiner unerwiderten Liebe wegen zu rächen. Die Dreiecks-Konstellation endet dramatisch.
Wer Angst hat vor Edward Albees Einsamkeits-Epen, ist in dieser eindrucksvollen Inszenierung der Studenten der Akademisch-Musikalischen Verbindung Fridericiana genau richtig: mit ungemein präziser Konsequenz und hervorragend einfühlsamem Spiel verführen die Darsteller (unter der klugen Regie von Anja Emmert) den Zuschauer zum Sprung mit den Lemmingen: man gerät in den Sog der Handlung und weiß sich nicht zu helfen.
Die Beschreibung der einzelnen Charaktere klopft die verschiedenen Positionen der Philosophie der Liebe ab: halb sinkt man hin, halb nimmt man Stellung. „Was ist das, die Liebe? Sie ist einseitig und besitzergreifend. Lieben ist einfach, aber geliebt werden ist manchmal unerträglich.“
Nach der Novelle von Carson McCullers hat Edward Albee seine faszinierende Bühnenberarbeitung verfaßt, die in der schwülen Augusthitze vor und in Amelias Haus (geschickte Bauten/Technik/Licht: Carsten Bokholt und Andreas Brostmeyer) spielt. Eine Erzählerin (gekonnt neutral Ute Kaufmann) begleitet und entspannt das Geschehen, das keine Akteinteilung vorsieht, aber die intensiven Szenen dämpfend trennen muß.
Die rundum gelungene Aufführung dieser erprobten Theatercrew braucht den Vergleich mit professionellen Gruppen nicht zu scheuen. Sie erreichte die Aktualität und beklemmende Brisanz, die nicht nur dem genialen Text zu verdanken ist. Intensives Proben während des ganzen Semesters und hitzige Diskussionen untereinander zeitigten in der Premiere lang beklatschten Erfolg.
Schade, daß – wie immer – finanzielle Probleme einen Ausbau dieser Arbeit bremsen. Nur noch am heutigen Mittwoch ist diese hinreißende Schweißarbeit im Theaterraum der Verbindung in der Glückstraße 3 zu sehen. Den Staub, der bei dieser Aufführung aufgewirbelt wird, schluckt man in bitterer Erkenntnis gerne.
Andrea Mayer